Riders on the storm.

Vier Wochen war es her, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Du hattest dir „Currywurst-Pommes-Mayo“ gewünscht zum Mittag und da saßen wir nun. Aßen im Wohnzimmer gemeinsam zu Mittag, du in deinem Sessel wie immer und ich auf dem Sofa. Man sah dir an, wie müde du warst. Müde von den Ereignissen der letzten Wochen, müde vom Vormittag und müde vom Leben. Wir sprachen kaum, während das Radio aus der Küche den Soundtrack für unser letztes Treffen lieferte. Das dies unser letztes Treffen, unsere letzte gemeinsame Mahlzeit sein sollte, das ahnte ich da noch nicht - ich glaube du schon.

Knapp vier Wochen später konntest du nicht mehr aufstehen, hast fast nur noch geschlafen und hattest noch weniger Kraft als sowieso schon. Du solltest ins Krankenhaus kommen, so schwach warst du. Dort angekommen durftest du fünf Tage lang keinen Besuch empfangen, hattest Mühe uns am Telefon zu verstehen, geschweige denn mit uns zu sprechen. Ich erinnere mich an meinen Monolog am Telefon, während ich hörte, wie du versuchtest etwas zu sagen. Aber selbst das Sauerstoffgerät, an dem du angeschlossen warst, konnte dir dabei nicht mehr helfen. Sollte das unser letztes „Gespräch“ gewesen sein? Ich versprach dir noch dich zu besuchen, nach den fünf Tagen Sperre… ich sollte es nicht mehr schaffen.

An dem Wochenende, als du ins Krankenhaus gekommen bist, fing unser Auto plötzlich an Probleme zu machen. Es schien Öl an Stellen zu kommen, wo es nicht hingehörte und die Zündkerzen hatten Aussetzer, sodass unser Auto keinen Hering mehr vom Teller zog. Sofort musste ich schmunzeln, in dieser absurden Situation. So hattest du uns damals Geld für das Auto gegeben, gleichzeitig aber auch darauf bestanden, dass ich dir einen (von dir) handschriftlich erstellten „Vertrag“ unterschreibe, dass das Auto dir gehört. Was hätte ich tun sollen? Mit einem 12 Jahre alten VW durchbrennen? Aber du wolltest es so, damit „alles seine Ordnung hat“.

In der Nacht von Sonntag auf Montag wurde ich gegen 3:35 Uhr wach, es regnete und der beruhigend-monotone Klang des Regens bildete den Soundtrack für die nächsten Minuten und Stunden. Als ich auf mein Handy schaute, um zu sehen, wie spät es ist, sah ich zwei verpasste Anrufe von 3:32 Uhr auf dem Display. Die Nummer kam mir sofort bekannt vor und so stand ich wie in Zeitlupe auf, um ins Wohnzimmer zu gehen und die Wahlwiederholung zu drücken. Die behandelnde Ärztin meldete sich nach dem ersten Klingeln und fragte mich, ob ich sitzen würde. Was nun folgen sollte war klar und sicherlich hat man dieses Szenario mehrfach im Kopf „durchgespielt“, aber darauf bereitet einen niemand vor. Eingeschlafen für immer bist du in dieser Nacht, fünf Minuten bevor ich aufgewacht bin. So saßen Lisbeth und ich nach dem Telefonat noch eine Weile im Wohnzimmer, während wir eine Kerze für dich angezündet hatten. Gute fünf Stunden später saß ich im (geliehenen) Auto Richtung alter Heimat. Irgendwie lief an diesem Morgen ein nahezu epischer Soundtrack, wenn man davon in dieser Situation sprechen kann. So hörte ich mit verweinten Augen u.a. „Riders on the storm“ von den Doors.

Riders on the storm

Riders on the storm

Into this house we're born

Into this world we're thrown

Als wir deine Sachen aus dem Krankenhaus holten, blieb nur noch dein kleiner Koffer übrig und zwei blaue Müllsäcke, an denen mit einem Pflaster dein Name klebte. Gleichzeitig verließ ein junges Paar als Familie mit ihrem neugeborenen Sohn das Krankenhaus. Der Kreislauf des Lebens eben. Einen Tag später sollte übrigens auch dein/unser Auto auf seine letzte Reise gehen. Motorschaden, welch Ironie und Anekdote zugleich.
 

So bist du nun auf deine letzte Reise gestartet, erlöst vom Leid der letzten Wochen und Monate. Pass auf dich auf, Papa.